Nachlass Christian und Gotthold Schwela

Bearbeitung von Peter Jahn-Bresan und Annett Bresan

Von 1861 bis 1941 waren Vater und Sohn, Christian und Gotthold Schwela, sorbisch Kito und Bogumił Šwjela, die herausragenden Förderer und Bewahrer der preußisch geprägten Kultur der Wenden um Cottbus und im Spreewald. Als Volksschullehrer bzw. Landpfarrer gehörten sie zur typischen Bildungsschicht einer überwiegend bäuerlichen, westslawischen Bevölkerungsgruppe in der Niederlausitz.

Inhaltsübersicht

Zur Biografie von Christian Schwela/​Kito Šwjela

Porträt Christian Schwela (Kito Šwjela)
Christian Schwela, Aufnahme um 1910

Amtlicher Name: Christian Schwela; sorbische Namensform in heutiger Schreibweise: Kito Šwjela

* 21.02.1836 Saspow/​Zaspy

† 26.01.1922 Cottbus/​Chóśebuz

Volksschullehrer, Kantor, Redakteur, Literat, Gärtner.

Lehrer-Präperandum in Leuthen/​Lutol bei Cottbus/​Chóśebuz; 1853–1856 Lehrerseminar in Neuzelle/​Nowa Cala; 1856–1861 Hilfslehrer an einem pietistischen Heim für verwahrloste Kinder und Waisen in Sergen/​Žargoń; 1861–1866 Lehrer in Groß Ossnig/​Wjeliki Wóseńk; 1866–1910 Lehrer und Kantor in Schorbus/​Skjarbošc; ab 1910 Pensionär in Cottbus/​Chóśebuz.  

GND: 141400471

Christian Schwela war der Sohn eines wendischen Bauern aus Saspow (heute zu Cottbus), der schon früh verstarb. Als umsorgtes und begabtes Einzelkind ermöglichte ihm seine Mutter im Einflussbereich des Herrnhuter Pietismus, der damals weit in die Niederlausitz ausstrahlte und sich traditionell wendenfreundlich zeigte, den Besuch eines Lehrerseminars. Danach wirkte er über 50 Jahre lang als Schulmeister, Zeitungsredakteur und Gärtner (Rosen- und Obstzucht). Er war so fleißig und erfolgreich, dass er auf allen drei Gebieten weithin bekannt wurde und zum Ende seines Lebens die höchsten preußischen Orden der Hohenzollern empfing, die in seiner Stellung möglich waren. Am nachhaltigsten wirkte er über fünf Jahrzehnte als Redakteur und Autor des „Bramborski Sserski Zaßnik“ (1864–1915)[1], der einzigen Zeitung in niedersorbischer Sprache, die wöchentlich erschien und vom preußischen Staat finanziell gefördert wurde. Deren monarchistisch-konservative Ausrichtung stand nie zur Disposition und entsprach den Erwartungen sowohl des Landrates als auch der Mehrheit der wendischen Leserschaft. Ganz nebenher entstand der umfangreichste niedersorbische Textkorpus seiner Zeit.[2]

Ostern 1911 besuchte Christian ein letztes Mal die Gemeinorte Herrnhut und Kleinwelka in der Oberlausitzer. Klein Welka, die dezidiert wendische Ortsgemeine der Herrnhuter Pietisten, wurde zu den Gemeindefesten an Ostern und Pfingsten bereits seit dem Ende des 18. Jahrhunderts von Wenden aus der Niederlausitz, insbesondere Pilgerinnen besucht. Christian Schwelas vielfältige Beziehungen und Besuche in der Oberlausitz lassen sich nach genauerem Quellenstudium aus diesen religiösen, stark pietistisch geprägten Verbindungen erklären. Gerade in den Herrnhuter Kreisen der Oberlausitz gab es damals nationalbewusste Sorben und Christian Schwela fungierte als deren Kontaktperson in die Niederlausitz. Bereits mit 25 Jahren nahm er zum ersten Mal an einer Sitzung der Maćica Serbska in Bautzen teil, einer von wenigen niederlausitzer Volksschullehrern, die diesen Weg fanden. Es war sein nationales Erweckungserlebnis.

Zur Biografie von Gotthold Schwela/​Bogumił Šwjela

Porträt Gotthold Schwela (Bogumił Šwjela)
Gotthold Schwela, undatierte Aufnahme

Amtlicher Name: Gotthold Schwela, sorbische Namensform in heutiger Schreibweise: Bogumił Šwjela

* 05.09.1873 Schorbus/​Skjarbošc

+ 20.05.1948 bei Naumburg  

Pastor, Sprachwissenschaftler, Volkskundler, Mitbegründer der Domowina.

Sohn Christian Schwelas; 1884–1894 Kaiser-Wilhelms-Gymnasium in Cottbus/​Chóśebuz; 1894–1897 Studium der Theologie in Leipzig, Halle und Berlin; 1898–1899 Einjährig-Freiwilliger beim preußischen Militär; 1899–1903 Prüfungsarbeiten und Hauslehrer bei der Familie von Hohenau in Potsdam und Slawentzitz (Schlesien); 1903–1908 Hilfsgeistlicher an der Wendischen- bzw. Klosterkirche in Cottbus/​Chóśebuz; 1908–1913 Pfarrer in Nochten/​Wochozy (Oberlausitz); 1913–1942 Pfarrer in Dissen/​Dešno (Niederlausitz); ab 1942 Ruhestand in Thüringen.

GND: 118758063

Das Lehrer- und Kantorenhaus in Schorbus, wo Gotthold Schwela 1873 als eines von vielen Kindern von Christian und Maria Schwela geboren wurde, war insbesondere in den 1880er und 1890er Jahren eine Anlaufstelle für Ethnologen und Linguisten aus der Oberlausitz sowie slawischen Wissenschaftlern aus dem Ausland. Auch „mancher Deutsche, der sich für die Sorben interessierte“, wurde willkommen geheißen.[3] Deren Forschergeist sollte den Lehrersohn ein Leben lang begleiten und motivieren; er verdeutlichte ihm den Wert auch der sorbischen Kultur und Sprache. Seine Mutter war eine deutsche Lehrerstochter. Er selbst schrieb: „Meine Jugend fällt in die Zeit der ersten Blüte volkskundlicher Arbeit um 1880. Namhafte Forscher auf diesem Gebiet waren Gäste im Hause meiner Eltern, mein Geburtsort selbst war reich an heimat- und volkskundlichen Überlieferungen.“[4]

Damals muss in Gotthold Schwela bereits der Vorsatz gereift sein, sein Leben der Dokumentation der sorbischen Kultur und Sprache zu widmen. Erste Feldforschungen betrieb er als Gymnasiast in den 1890er Jahren, seine letzten nach 1945. Seine vom Vater gewünschte Berufswahl wurde aus seiner Warte immer mehr ein Mittel zum Zweck: Als Pfarrer würde er in engen und weitläufigen Kontakt zum Volke kommen und seiner wissenschaftlichen Leidenschaft frönen können. Schon als junger Hilfsprediger in Cottbus, von familiären Pflichten weniger beansprucht, veröffentlichte er eine Reihe schmaler, praxisorientierter sorabistischer Abhandlungen, die zwar eine deutliche Lücke füllten, aber erst in späteren Jahren vermehrt nachgefragt wurden.[5] Die beruflichen und immer mehr auch die politischen Umstände brachten es mit sich, dass Gotthold mehr und mehr sammelte, zumeist die Rückseiten gebrauchter Papiere bergeweise beschrieb, jedoch auf keinem Gebiet zu einer publikationsfähigen Synthese gelangte. Sein Hauptwerk, die „Flurnamen des Kreises Cottbus“, lag im Rohmanuskript vor, dem es noch an wissenschaftlicher Kritik und Korrektur mangelte, und wurde aus politischen Gründen in der Zeit des Nationalsozialismus im berüchtigten „Amt Rosenberg” zurückgehalten. Als er an seinem ersten Manuskript, einem deutsch-niedersorbischen Wörterbuch, im Ruhestand arbeitete, benutzte er Aufzeichnungen, die Jahrzehnte alt waren. Offenbar hatte er unermüdlich Notizen zusammengetragen in der Hoffnung auf bessere und ruhigere Zeiten als Pensionär, die jedoch nie eintreten sollten. Auch das Wörterbuch blieb nur ein Torso. Es erschien postum 1953 in einer deutlich abgespeckten Form, ohne die vielen Anwendungsbeispiele Schwelas und für die Forschung zu stark lektoriert und modernisiert.[6] Die „Flurnamen“ wurden 1958 vom Institut für Slawistik an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin herausgegeben, wobei es dem Bearbeiter Hermann Schall allerdings „nicht immer leicht“ gefallen sei, „aus dem Manuskript die Absicht des Verfassers zu erkennen“.[7]

Im Unterschied zu seinem Vater hat Gotthold Schwela für seine sorbische Forschungs- und Kulturarbeit nie eine offizielle finanzielle oder moralische Anerkennung seitens des Staates erhalten, auch nicht in der Weimarer Republik. Umso bekannter war seine Expertise als Sprachkenner über das sorbische Sprachgebiet hinaus geworden. Viele Privatpersonen und Heimatforscher suchten aus unterschiedlichen Gründen seinen Rat, Slawisten und Archivare erkannten den Wert seiner Arbeit, so dass sein wissenschaftlicher Ehrgeiz unter allen politischen Bedingungen erhalten blieb. Das Dissener Pfarrhaus, wo er inmitten des niedersorbischen Sprachgebiets zwischen 1913 und 1942 lebte und arbeitete, wurde ähnlich wie schon sein Elternhaus in Schorbus zum Treff- und Anlaufpunkt vieler interessierter Laien und Fachleute. Die hauseigene Landwirtschaft trug wesentlich dazu bei, dass die Familie selbst in den vielen Krisenzeiten ausreichend versorgt war. Wenngleich er nichts damit verdiente, war sein Leben doch abwechslungsreicher und vielseitiger als das mancher Kollegen. Und die Hoffnung, dass sich alle rastlose Mühe noch einmal zwischen einigen Buchdeckeln wiederfinden würde, hatte er bis zum letzten Atemzug, den er auf dem Wege zu einer Feldforschung tat, nicht aufgegeben. Zum Glück hatte er schon Jahre früher eine jungen Slawistikstudenten gefunden und Vorsorge für seinen handschriftlichen Nachlass getroffen.[8]

Inhaltliche Schwerpunkte des Nachlasses

Der hier vorliegende handschriftliche Nachlass Gotthold Schwelas beläuft sich auf ziemlich genau 40 000 Blatt, zuzüglich eines umfangreichen Briefwechsels mit 368 identifizierten Briefpartnern, abgesehen von der Familienkorrespondenz. Der beigeordnete Nachlass seines Vaters, des Kantors Christian Schwela, umfasst ca. 440 Blatt, betreffend seine Werke, Berufsangelegenheiten und Selbstzeugnisse sowie die Korrespondenz mit 36 Briefpartnern – auf beiden Feldern hinterließ er demnach etwa ein Zehntel seines Sohnes. Das hat seine Ursache in dessen weitaus zielstrebigerer Arbeit an einem wissenschaftlichen Lebenswerk sowie in einer wesentlich nachlässigeren Archivierungspraxis von Christian Schwela. Das Vorhandene scheint mehr zufällig aufbewahrt und ohnehin von Gotthold zusammengehalten, als systematisch angelegt worden zu sein. Das dürfte auch am eher fatalistischen Charakter des eigentlich – auch mit der Feder – fleißigen Vaters Christian gelegen haben. Dennoch ist dessen Nachlass in Vielem biografisch erhellend und kulturgeschichtlich, im Hinblick auf die Niedersorben, unersetzlich. Das interessante und auf das Zustandekommen dieses Gesamtnachlasses entscheidende Verhältnis zwischen Vater und Sohn wird auch aus Christians Dokumenten gut ablesbar.

Am quantitativen Aspekt des handschriftlichen Nachlasses von Gotthold Schwela lassen sich recht deutlich dessen eigentliche Interessen erkennen. Herausragend in diesem Sinne ist eine gut geordnete Niedersorbisch-deutsche Wortkartothek im Umfang von 17 635 Blatt. Diese beinhalten mehr als die Lemmata eines herkömmlichen Wörterbuchs und sind häufig mit zusätzlichen volkssprachlichen Anmerkungen versehen. Ergänzungen zur Wortkartothek im Umfang von 2 225 Blatt sind erst jetzt im Zuge der digitalen Aufarbeitung gesichtet worden. Daneben besteht eine weitere „Sammlung für ein niedersorbisches Wörterbuch“ mit 854 Blatt, wobei es sich zumeist um beidseitig dicht beschriebene Dokumente handelt, die von der Forschung noch nicht wahrgenommen wurden. Darunter befinden sich fast 200 Blatt, die von der Zuarbeit des jungen Gotthold Schwela für das monumentale „Wörterbuch der Nieder-Wendischen Sprache und ihrer Dialekte“ (1911–1926) seines wissenschaftlichen Mentors Ernst Mucke/​Arnošt Muka zeugen. Angesichts dessen, dass dieser Mentor Schwela eine angeblich vereinbarte Nennung als Ko-Autor versagt hatte, war Schwela in den folgenden Jahrzehnten nahezu besessen von der Idee, Mukas dickleibigen Thesaurus zu „ergänzen“. Insofern dürfte seine Sammlung noch viel unbekanntes lexikalisches Material enthalten. Ein archivalisch gebildeter Bestand zur „Niedersorbischen Grammatik und Orthografie“ (634 Blatt) sowie zur „Sorbischen Dialektologie“ (293 Blatt) runden dieses linguistische Thema ab.

Ein zweiter sprachwissenschaftlicher Schwerpunkt sind Schwelas Forschungen zu sorbischen Eigennamen: Flur-, Familien- und Ortsnamen. Darunter ein archivalisch gebildeter Bestand „Flurnamenforschung“ (444 Blatt) sowie eine „Kartothek Flurnamen“ mit 4 770 Blatt. Inwiefern diese mit seinem Hauptwerk, den 1958 postum veröffentlichten „Flurnamen des Kreises Cottbus“ in Beziehung stehen, müsste geprüft werden. Die Studien erstrecken sich über den Kreis Cottbus hinaus auf das gesamte historische niedersorbische Sprachgebiet.

Insgesamt besteht Schwelas sprachwissenschaftlicher Nachlass aus 31 589 Blatt und bildet den quantitativen Kern der Überlieferung. Seine Bedeutung für die Dokumentation der niedersorbischen Sprache ist nicht zu überbieten. Die bäuerlich und kirchlich geprägte Alltagssprache, wie sie uns auf seinen Papieren begegnet, muss inzwischen als ausgestorben erklärt werden. Die Übersicht über die 92 Dörfer und Weiler, die Schwela zur sprachlichen und volkskundlichen Feldforschung systematisch aufsuchte, spiegelt die Verbreitung der niedersorbischen Sprache in den 1920er und 1930er Jahren wider.

Ortsliste

Auras*Huraz – Babow*Bobow – Bärenbrück*Barbuk – Brahmow*Brama – Branitz*Rogeńc – Bräsinchen*Brjazynka – Burg*Bórkowy – Bylow b. Spremberg – Dahlitz*Dalic –Dissen*Dešno – Dissenchen*Dešank – Döbbrick*Depsk – Drachhausen*Hochoza – Drebkau*Drjowk – Drehnow*Drjenow – Drewitz*Drjejce – Drieschnitz*Drěžnica  –  Eichow*Dubje – Fehrow*Prjawoz – Frauendorf*Dubrawka – Gablenz*Jabłoń – Gallinchen*Gołynk – Gahry*Garjej – Glinzig*Glinsk – Gollnitz b. Spremberg – Grötsch*Groźišćo – Groß Döbbern*Wjelike Dobrynje – Groß Gaglow*Gogolow – Groß Lieskow*Liškow – Groß Ossnig*Wjeliki Wóseńck – Guhrow*Góry – Gulben*Gołbin – Harnischdorf *Harnošice – Hänchen*Hajnk – Haasow*Hažow – Heinersbrück*Móst – Horno*Rogow – Illmersdorf*Njamorojce – Jänschwalde*Janšojce – Kahren*Kórjeń – Kahsel*Kózle – Kackrow*Kokrjow – Kathlow*Kótłow – Kiekebusch*Kibuš – Klein Buckow*Bukowk – Klein Döbbern*Małe Dobrynje – Klein Gaglow*Gogolowk – Klein Lieskow*Liškowk – Klein Ossnig*Wóseńck – Klinge*Klinka – Kolkwitz*Gołkojce – Komptendorf*Góŕenje – Koppatz*Kopac – Krieschow*Kśišow – Kunersdorf*Kósobuz – Lakoma*Łakoma – Laubsdorf*Libanojce – Leuthen*Lutol – Limberg*Limbark – Madlow*Módłej – Mattendorf*Matyjejce – Maust*Hus – Merzdorf*Žylowk – Milkersdorf*Górnej – Müschen*Myšyn – Neundorf*Nowa Wjas – Neuhausen*Kopańce – Ölsnig*Wólšynka – Preilak*Pśiług – Putgolla*Pódgóla – Papitz*Popojce – Raddusch*Raduš – Roggosen*Rogozno – Ruben*Rubyn – Saspow*Zaspy – Schlichow*Šlichow – Schmellwitz*Chmjelow – Schmogrow*Smogorjow – Schönhöhe*Šejnejda – Schorbus*Skjarbošc – Sergen*Žergoń – Sielow*Žylow – Skadow*Škódow – Ströbitz*Strobice – Striesow*Strjažow – Tauer*Turej – Turnow** – Tranitz*Tšawnica – Trebendorf*Trjebin – Werben*Wjerbno – Willmersdorf*Rogozno – Zahsow*Cazow.

Die zweitgrößte Unterabteilung im Nachlass von Gotthold Schwela bilden seine „Kulturhistorischen Sammlungen“ mit insgesamt 3 203 Blatt. Darin ragt die Klassifikation „Sprachliche Volkskunde“ mit 2 092 Blatt nicht nur quantitativ heraus. Abgesehen von den Kartotheken ist sie der umfangreichste, archivalisch gebildete Einzelbestand des gesamten Nachlasses. Die Bezeichnung wurde nach Schwela gewählt, obwohl sie in der akademischen Volkskunde äußerst selten benutzt wurde. Sie deckt nahezu das gesamte Repertoire populärer Erzählstoffe und Mythen ab, wie sie Schwela in den unterschiedlichsten Situationen begegneten, nicht nur als Feldforscher, sondern auch als Pfarrer. Außerdem sind unter dieser volkskundlichen Klassifikation auch lexikalische Zusammenstellungen traditioneller Werkzeuge und Gewerke subsummiert – eine quasi museale Terminologie. Schwelas Mitschriften zeugen von einer sprachlichen Tiefe, Phantasie, Komplexität und Intensität, wie sie – abgesehen von Mukas und Starostas Wörterbüchern – in keiner niedersorbischen Publikation erreicht wurde. Schwela scheiterte Mitte der 1930er Jahre an einer Synthese des weitläufigen und vielschichtigen Stoffes. Als Notlösung entschied er sich, einen kleinen Teil des Materials in einer grammatischen Abhandlung zu präsentieren.[9] In den folgenden Jahrzehnten blieb es unbeachtet; ein Hinweis des Archivars Frido Mětšk aus dem Jahre 1973, zu Schwelas 100. Geburtstag, verhallte ungehört.[10]

Zur Redlichkeit des volkskundlichen Feldforschers gehört die Erfassung und Nennung seiner Informanten. In Schwelas Papieren konnten für das niedersorbische Sprachgebiet 169 Personen identifiziert werden. Diese auskunftsfreudigen und in ihrer Muttersprache beheimateten Zeitzeugen seien hier mit den Aufzeichnungen, die sie ermöglichten, postum veröffentlicht.

Verzeichnis der Informantinnen und Informanten von Gotthold Schwela

Adam/Merzdorf, Arndowa/Borkowe, Lehrer Helmut Aschen/Groß Tzschacksdorf, hobydlar Baltynk/Drieschnitz, Balzerowa/Lacoma, stary Batz, Belejic Hanskowa, Belej/Burg und Grabow, Christiane Belka/Sielow, Lehrerfrau Boit/Sielow, Boslau/Dissen, Bubner/Lieskow, Kossät Budych/Striesow, Cacho/Saspow, Bernojc/Komptendorf, Bjarsch/Werben, Frau Bubner/Groß Lieskow, Buckowitz/Döbbrick, alter Budich/Striesow; Burschke/Klein Lieskow, Chriske/Schmogrow, Totengräber Chyla/Werben, Herr Chytan/Drehnow, Johann Dahlej/Dissen, Doman/Strieso, Schwestern Domaškojc/Zahsow, Donath/Sielow, Drabik/Dissen, Fitzner/Sielow, Frankowa/Ströbitz, Friedermann/Schmogrow, Friedrichowa/Skadow, Gracojc sotśi w Majberku, Gjardy – Dešański, Frau Groschke/wósadna, Groźiškowa/Werben, Gruß ze Žylowka (Žylojski Gruß jo jogo großnana bratš), Günther/Burg, Gutke/Dissen, Graske/Striesow, Groschk/Dissen, Frau Handrik/Radusch, Hanuškaŕka/Klein Ströbitz, Halina, Hanke/Dissenchen, Hanśkowa/Sielow, Wilhelm Häntsch/Cottbus; Hermanka/Striesow, Hilkowa/Kopaca und Striesow, Hobliš/Sielow, Frau Homan/Klosterkirche, Hugler/Neuhausen, Lehrer Hühnchen/Radewiese, Herrn Huras/Groß Lieskow, Sielow und Drewitz, Marie und Hermann Jahn/Dissen, Jabłoński/Lakoma, Jandok/Ströbitz, Jarik/Dissen und Burg Kauper, Lehrer Karl Jordan, Jurjow/Striesow, Kawa/Dissen, Kettlitz/Gulben/ Klawa/Brjazynski a Strjažojski, Klaua/Werben, Knick/Dissen, Knocha/Sielow und Saspow, Maurer Knöffel/Dissen/ Kolasaŕ/Dissen, OT Grabow, Koloźej – Werben, Kosakowa/Werben, Kowalic wujk z Wjerbna, Kowal/Dissen, Krautz/Sielow, Krawčikowa z Hamora, Krawcowa/Striesow, Kretschmarka/Sielow, Krupa/Preilack, Herr Kuba/Slamen, Kubel/Casel, Kubik/Striesow, bur Kubo/Kasel, Kuhla/Sielow, Kulmanka/Sielow, Kušcyna/Strjažojska (Hansowa), Kutschank/Werben, stara Kšadowka und stary Kšadow/Saspow, Kubik/Ströbitz, Bauern Lehmann/Drehnow und Dissen, Lehrer Lehmann/Raddusch, Martha Lehmann/Mattendorf, Waldwächter Lehmann/Groß Kölzig, Lěwa/Jänschwalde, Liebreicht/Dissen, Lowka/Škadow, Lukas/Burg, Kito Malkwitz/Dissen, Markulic/Saspow, Paul Meršeńc/Žylow, Hauptlehrer Wilhelm Merschenz/Werben, S. Mjatkowa, Mudrik/Žylojski, Mudring/Dissen, Mucha–Zwahr, Mucha/Sielow Ausbau, Nadberka/Strjažow, Najorka/Mattendorf, Napatzkowa/Dešno, Neumanka/Sergen, Niprašk/Raduš, Noak/Katlow, Noakojc/Döbbrick, Nowakojc/Sergen, kněz Nowjelic/Steinitz (Kreis Calau), August Nowka/Skjarbosć, Nuglaŕ, Pank/Dissen, Panwitzka/Dissen, Paška/Borkojski, Paulik/Ströbitz, Peisert/Ströbitz, Pela/Kolkwitz, E.Pela/Kleinlieskow, Ernst Pehla/Schlichow, Fritz Perk/Dissen, Perk/Lakoma, Schmellwitz und Saspow, Pětkojc/Sielow, Petrik/Burg, Pryscha/Schmogrow, Rak/Groźišćo, Rekušec luźe/Kaula, Rischk/Suschow, Rinca/Dissen und Guhrow, Sak – Kakrow, Albert Saretz/Schmellwitz, Šancyna (Frau Schanze)/Schmellwitz, Schiemenz/Sielow, Anna Schlodarik/Dissen, Frau Schmidt/Dissenchen, Gustaw Šołta (Scholze)/Babojski, Schorradt/Dissen, Christian Schorad-Peskar/Sielow, S. Šorad/napolski (Ausbau), Schötz/Schmogrow, Bürgermeister Schötz/Babow, Šramm/Gulben, Štefnaŕ/Burg, Šultkowa/Ströbitz, Schulzkowa/Sielow, Šymjenska/Sielow, alter Scon/Döbbrick, Sconowa/Dešno, Selesk/Sergen, Slomcyny (Slomkes)/Ruben, Lehrer Słomka/Roggosen, Smoger/Limberg, Hebamme Marie Starik (Staricka)/Sielow, S. Starik/Neuendorf, Steklina/Drehnow, Stencel/Komtendorf, Symula/Bärenbrück, Trenk/Sielow, Turan/Groß Buckow, Tylcyna/Dešno, Welk/Willmersdorf, Friedrich Wenzke/Sielow, Mato Wjeńcko/Sielow, Zarec/Chmjelow, Županka/Ströbitz, alter Zwar/Dissen. 

Gesondert hervorgehoben seien die 694 Predigten und Predigtkonzepte (1 244 Blatt) aus den Jahren 1903–1942, die für die Digitalisierung erstmals geordnet und gezählt wurden. Dabei handelt es sich entsprechend der Gottesdienstpraxis um viele gemischtsprachige Dokumente; die sorbische Sprache scheint aufs Ganze gesehen zu überwiegen. Damit handelt es sich angesichts der mageren Verschriftlichung des Niedersorbischen um wichtige Text-Quellen, im Hinblick auf die „weithin fehlende Aufarbeitung der Mit-Schuld [sic] von Kirche und Christen an den Verbrechen des Nationalsozialismus“[11] um eine Rarität für Historiker, weil Predigten auf dieser gemeinde-kirchlichen Ebene der Öffentlichkeit fast gar nicht vorliegen.

Jeder zeithistorisch interessierte Nutzer sollte auch die Rückseiten von Schwelas Schreibpapier beachten. Für seine Forschungsarbeit und sprachliche Notizen nutzte er überwiegend gebrauchtes Papier: Quittungen und Werbepost aller Art, alte Briefe, Einladungen, Kalenderblätter, Visitenkarten, aussortierte Predigten, innerkirchliches Informationsmaterial, Vordrucke, Formulare, Druckfahnen, alte Schulhefte u.a. Eine Angewohnheit mit Folgen: So wird das Kolorit des Alltags eines preußischen Landpfarrers deutlich und liefert so für den heutigen Leser manch andere Information, die Schwela für unwichtig hielt.

Unerlässlich für die Annäherung an die Zeit, die Persönlichkeit und das Wirken Schwelas sind seine 368 identifizierten Briefpartner. Manchmal ist es nur eine Postkarte, die Schwela von einem Kollegen oder Touristen erhielt oder ein Brief, in dem er um heimatkundlichen oder sprachlichen Rat gebeten wurde. Häufig sind es aber auch intensive Briefwechsel über die Dauer von Jahrzehnten. Das Meiste an persönlicher Post scheint er komplett aufgehoben zu haben, bis auf die Briefe, deren Rückseite er als Notizpapier benutzte. Unter den historischen Umständen war sich Schwela deren Bedeutung offenbar sehr wohl bewusst.

Unter den sorbischen Korrespondenzpartnern sind besonders hervorzuheben: sein Mentor, einer der bekanntesten Sorben seiner Zeit, Studienrat Ernst Mucke/​Arnošt Muka; Schwelas Bruder im Geiste, Studiendirektor Otto Lehmann/​Ota Wićaz; der niedersorbische Pfarrer und Publizist Johann Friedrich Teschner/​Jan Bjedrich Tešnaŕ; seine Studienfreunde, die Pfarrer Wilhelm Nowy/​Wylem Nowy und Heinrich Riese/​Hajno Rizo; die Künstler und Publizisten Wilhelmine Wittke/​Mina Witkojc und Friedrich Lattke/​Fryco Latk-Weimarski; der studierte Bauer Friedrich Lattke/​Fryco Latk aus Neuendorf; der Theologiestudent Herbert Nowak[12]; der Kaufmann Johann Hajesch/​Jan Haješ aus der Oberlausitz; der Angestellte der Wendischen Bank in Cottbus und spätere Verleger Johann Ziesche/​Jan Cyž; der Pädagogik- und Slawistikstudent Alfred Mietzschke/​Frido Mětšk u. v. a.

Die wichtigsten deutschen Korrespondenzpartner Gotthold Schwelas waren: der Superintendent und Vorsitzender des Gustav-Adolf-Vereins Oskar Pank; der Schulfreund und Diplomat Oskar Trautmann; der Maler und Volkskundler Wilibald von Schulenburg; der Landeshistoriker Rudolf Lehmann; der Gymnasiallehrer Alfred Pätzold; Oberlehrer Karl Trautermann; der Amtsnachfolger in Dissen Alfred Schmidt; last, not least die Slawisten Max Vasmer, Karl H. Meyer und Herbert König; dazu die tschechischen Slawisten Antonín Frinta und Josef Páta u. v. a.[13]

In vielen weiteren „Zeitgeschichtlichen Dokumenten“ (785 Blatt) sowie „Dokumenten zur Kulturarbeit“ (692 Blatt) wird das schwierige gesellschaftliche Umfeld in Deutschland sichtbar, in dem sich Schwela behaupten musste, aber eben auch glänzen konnte. Sie zeugen von Schwelas persönlichem Bemühen um Identität, Kultur und Bildung im Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten der Zeit. Er selbst zweifelt immer mehr am Fortbestand des „wendischen Volkstums“, wollte aber im Rahmen des Machbaren und Naheliegenden, vor allem auch in seiner eigenen Kirchengemeinde, nichts ungenutzt lassen und sinnlos verkümmern sehen. In politischer Hinsicht wird die Botschaft der Besonnenheit und Loyalität eines bekennenden und bekannten Sorben gegenüber Staat und Kirche ausgesandt. Mithin ist die Lage für einen Sorben in seiner öffentlichen Position und in der sich zu seinen Lebzeiten beständig verändernden innen- und außenpolitischen Lage so verwickelt, verwoben, verschroben und vielschichtig, dass man das Konglomerat kaum zu entwirren und zu deuten vermag.

Die Pflege und Dokumentation der niedersorbischen Sprache bei Christian und Gotthold Schwela geht von allem Anfang an mit politischen Lasten und Anfeindungen einher. Zu ihrer Wirkungszeit war Europa voller ungelöster bzw. sich entwickelnder nationaler Probleme und Irredenta, in denen auch die Sorben ihre Rolle finden und immer wieder neu definieren mussten. Nach der Reichsgründung waren es vor allem die nationalen und konfessionellen Friktionen mit der polnischen Bevölkerung in Schlesien, die sich auf die politische Bewertung und Behandlung der sorbischsprachigen Einwohner auswirkten. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Gründung der Tschechoslowakei überschatteten in erster Linie die Dauerspannungen zwischen Tschechen und Deutschböhmen die benachbarte Lausitz. Der Wunsch einiger sorbischer Patrioten und politischer Abenteurer, sich diesem Staat 1918 anzuschließen, wurde in Sachsen nachhaltig argwöhnisch beobachtet. Konnte sich Christian Schwela im Kaiserreich noch durch allerlei Loyalitätsbekundungen und Zurückweisung aller Irredenta durchsetzen und öffentliches Ansehen auch unter den deutschen Mitbürgern und Honoratioren behaupten, war dies für Gotthold schon unmöglich geworden. Zwar teilte er weitgehend die politische Loyalität seines Vaters gegenüber dem deutschen Staat, nur geglaubt wurde es ihm nicht mehr, wie einigen Geheimberichten in diesem Nachlass zu entnehmen ist. Ein Übriges tat ein zunehmend entfesselter politischer Mob, der allerlei Gerüchte und Unterstellungen produzierte. Gotthold Schwela reagierte darauf nach dem Tode seines Vaters mit einer zunächst vorsichtigen, später eindeutigen Annäherung an den Nationalsozialismus. Insbesondere hegte er antisemitische Ansichten und Einstellungen, die noch auf seinen Vater und dessen gutsherrliches Umfeld bzw. Patronat zurückzuführen sind. Dem Kern des nationalsozialistischen Wahns konnte er sich mit dieser familiären Prägung nicht entgegenstellen. Dem frühen Engagement und der Karriere seines ältesten Sohnes Siegfried in SA und SS begegneten er und seine Frau Gertrud mit förderndem Wohlwollen. In welche Abgründe der Sohn ihnen entglitt, hätten sie sich allerdings kaum träumen lassen.

Gotthold Schwela gilt bisher als einer der maßgeblichen Gründungsväter der Domowina im Jahr 1912. Er hatte im Beisein seines Vaters die Eröffnungsrede gehalten und den Vereinsnamen vorgeschlagen. Damals hatte Schwela eine Pfarrstelle in Nochten in der Oberlausitz angenommen und engagierte sich für sorbische Anliegen insbesondere im Schulunterricht und für das sorbische Vereinsleben in seiner Gemeinde. Sein Engagement für diese Organisation erlosch nach seinem Umzug in die Niederlausitz 1913, wo die Domowina keinerlei Anklang fand, und mit dem ausbrechenden Weltkrieg, in dem alle Karten neu gemischt wurden. In der Zwischenkriegszeit galt sein Interesse wirtschaftlichen Vereinen.

Bedeutung des Nachlasses

Die Bedeutung des handschriftlichen Nachlasses von Christian und Gotthold Schwela für die niedersorbische Kulturgeschichte kann man nur vor dem Hintergrund der Entwicklung der niedersorbischen Schriftsprache richtig verstehen und würdigen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bestand die gesamte Schriftkultur – abgesehen vom Bramborski Sserski Zaßnik und einigen preußisch-patriotischen Heftchen und Büchlein – aus religiöser Gebrauchsliteratur, hauptsächlich Übersetzungen aus dem Deutschen durch sprach- und schreibkundige Pfarrer. Seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts und der Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Preußen, lernte man diese Druckschriften in der Volksschule zu lesen. Schreibübungen wurde dort erst seit den 1830er Jahren verpflichtend, jedoch auch in den sorbischen Schulen ausschließlich in deutscher Sprache. Die unstandardisierte sorbische Handschrift beherrschten damals mehr oder weniger nur Pfarrer und Lehrer, die jedoch nur selten davon Gebrauch machten. Der Schriftverkehr zwischen Vater und Sohn Schwela war ziemlich sicher der einzige, der zu ihrer Zeit größtenteils auf sorbisch geführt wurde – und das in unterschiedlichen Orthografien, auf die hier nicht näher einzugehen ist. Im akademisch ungebildeten Volk war die sorbische Handschrift so gut wie unbekannt und ungebräuchlich. Die wenigen Ausnahmen, die es gab, sind in den Nachlässen der beiden Schwelas zu finden. Manche Absender entschuldigten sich im Vorraus für ihre ungelenke Orthografie und beteuerten, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen sorbischen Brief verfassten. Nur einige nationalbewusste Pfarrer im Umfeld Gotthold Schwelas schrieben sich in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts manchmal auf Sorbisch. Das, was Gotthold Schwela an sprachlichem und volkskundlichem Material verschriftlichte, und was er selbst auf Sorbisch predigte und schrieb, ist – einschließlich des Nachlassteils seines Vaters – somit mit Abstand das umfangreichste handschriftliche Korpus niedersorbischer Sprache.

Der Stellenwert des Nachlasses insbesondere von Gotthold Schwela erschöpft sich jedoch keinesfalls in seinem kultur- und regionalgeschichtlichen Seltenheit. Er ist und bleibt eine Fundgrube für Sprachwissenschaftler:innen, Slawist:innen und Sorabist:innenen, Historiker:innen und nicht zuletzt auch europäische Ethnolog:innen und historische Anthropolog:innen. Er präsentiert Wissen, Glauben und Sprache der niedersorbischen Bevölkerung im Kreis Cottbus und im Spreewald bis in vorindustrielle Zeit und damit den kulturellen Reichtum Deutschlands.

Bestandsgeschichte

Anlässlich des 100. postumen Geburtstages von Gotthold Schwela, 24 Jahre nach seinem Tod, veröffentlichte der Archivar des Sorbischen Kulturarchivs Frido Mětšk in der sorabistischen Fachzeitschrift Lětopis das Findbuch zu dessen Nachlass.[14] Schwela hatte 1942 nach Eintritt in den Ruhestand und seinem Umzug von Dissen nach Thüringen alle Unterlagen mitgenommen und im Haus seiner Tochter in Bad Berka deponiert. Im selben Jahr hatte er sich an Frido Mětšk mit der Bitte gewandte, sich nach seinem Tod um sein schriftliches Erbe zu kümmern. Die beiden hatten in den Jahren zuvor über niedersorbische Geschichte und Literatur korrespondiert.

Entsprechend dem Wunsch ihres Vaters bat die Tochter anderthalb Jahre nach Schwelas Tod 1948 Mětšk, damals Schuldirektor in Bautzen, um die Übernahme des Nachlasses. Im Auftrag des Sorbischen Volksbildungsamtes und der Maćica Serbska fuhr Mětšk daraufhin nach Thüringen und verhandelte die Übergabe.

Verschiedene persönliche Schriftstücke, u. a. die Tagebücher, verblieben in Familienbesitz. Schwelas Sammlung niedersorbischer sprach- und kulturhistorischer Drucke und Handschriften wurde an Buchantiquariate veräußert.[15] Sein sprachwissenschaftliches Hauptwerk, das Manuskript der Flurnamen im Kreis Cottbus, sowie das Manuskript eines Wörterbuchs erhielt die Deutschen Akademie der Wissenschaften Berlin mit der Auflage, diese zu publizieren.[16] Der in Thüringen von Mětšk erworbene Nachlassteil wurde vorübergehend vom Sorbischen Volksbildungsamt übernommen, bevor das gesamte historische Archivgut der Maćica Serbska und neue Erwerbungen dem 1951 gegründeten Institut für sorbische Volksforschung in Bautzen übereignet wurden. Mětšk wechselte Anfang 1955 aus dem Schuldienst an das Institut; 1960 wurde er offiziell zum Archivleiter ernannt.

Der Nachlass Schwela wurde von ihm geordnet und verzeichnet. Scheinbar konnte er sich nur bei einigen Akten auf eine Vorordnung beziehen.[17] Die Dokumente bildete er zu 365 Akten/​Verzeichniseinheiten unterschiedlichsten Umfangs und diese wiederum zu 41 Klassifikationen.[18] Dieser Nachlassteil entspricht der Signaturgruppe ZM XXXV. Die Tagebücher von Schwela[19] sowie ein Fotoalbum, die 2009 aus Familienbesitz an das SKA kamen, wurden dieser Signaturgruppe hinzugefügt.

Aus den übernommenen Dokumenten wurden zwei Kästen mit Dokumenten herausgelöst, die eindeutig Gotthold Schwelas Vater Christian zuzuordnen waren, und zu einem eigenständigen Nachlass mit der Signatur ZM XXXVI gebildet.[20] Ein entsprechendes Bestandsverzeichnis wurde im Findbuch der Nachlässe von Mitgliedern der Maćica Serbska veröffentlicht.[21]

Obwohl Mětšk im erwähnten Bestandsverzeichnis von 1972 eine vage Andeutung gemacht hatte[22], blieb für die sorabistische Forschung weitgehend unbekannt, dass er selbst im Besitz von Nachlass-Dokumenten von Vater und Sohn Schwela war. Nur gelegentlich war durch das Studium der Fußnoten in von ihm publizierten Dokumenten und Beiträgen laut entsprechenden Quellennachweisen der Hinweis „Im Besitz des Herausgebers“ oder „in meinem Besitz“ zu erfahren.[23] Um welchen Umfang es sich bei diesen Materialien handelte, wurde erst durch Zufall 20 Jahre nach dem Tod von Mětšk bekannt. Glückliche Umstände führten dazu, dass sein Nachlass, den dieser noch vor seinem Tod der Handschriftenabteilung der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden vermacht hatte, an das SKA übereignet wurde.[24] In diesem Nachlass befanden sich 44 Konvolute, die Christian und Gotthold Schwela zuzurechnen sind. Sie sind durch die Signatur N XIII gekennzeichnet.[25]

Einige Dokumente aus dem Schwela-Nachlass konnten 1972 von Mětšk nicht in das Bestandsverzeichnis aufgenommen werden. Sie wurden vom damaligen Institutsdirektor Pawoł Nowotny in einer Art Arbeits-Sammlung aufbewahrt und konnten erst nach dessen Ausscheiden aus dem Institut 1977 verzeichnet werden. Die Dokumente, darunter vier Archivkartons aus dem Nachlass Schwela, wurden nicht den im SKA bestehenden Beständen hinzugefügt, sondern blieben ein eigenständiger Bestand. Das Verzeichnis wurde 1979 unter der Bezeichnung „Maćica-Deponat Pawoł Nowotnys“ publiziert[26] und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diese Akten sind mit der Signatur ISL XXIII gekennzeichnet.

Hinweise zur Benutzung der digitalen Präsentation

Der Nachlassteil von Gotthold Schwela umfasst in der digitalen Präsentation 734 Verzeichnungseinheiten, der Nachlassteil von Christian Schwela 62 Verzeichnungseinheiten. Zusätzlich wurden die im Sorbischen Kulturarchiv aufbewahrten Briefe erfasst, deren Absender Gotthold und Christian Schwela waren und die sich in den Nachlässen der jeweiligen Adressaten entsprechend der Archivstruktur befinden.

Im Hinblick auf die geschilderte Struktur der verschiedenen Nachlassteile wurde über die Erstellung eines Findbuches im Nachlass- und Autografenportal Kalliope eine visuelle Korrektur der bisherigen Struktur/​Klassifizierung des Nachlasses vorgenommen. Dieser Schritt ermöglicht die inhaltliche Zusammenführung verschiedener Nachlassteile und bietet den Benutzer:innen eine sinnvolle Suchmöglichkeit. Auf eine physische Neuordnung hinsichtlich der Aktenzusammenstellung, der Signaturen und Standorte wurde angesichts des hohen Arbeitsaufwands sowie aus konservatorischen Gründen verzichtet. Die Aufteilung von Korrespondenzen einiger Absender in verschiedene Nachlassteile wurde weitgehend beibehalten. Sie sind im Findbuch nicht hintereinander verzeichnet, sondern werden bei der Recherche über den Namen des Absenders/​Adressaten „zusammengeführt“.

Eine Besonderheit des Nachlasses sind die unzähligen Dokumente, deren Rückseite Schwela als Schreibpapier verwendete. Insofern es sich dabei um eine noch so geringe Information zu seinem Dienst- und Privatleben oder zu kultur- und zeitgeschichtlichen Aspekten handelt, sind diese in die digitale Präsentation aufgenommen. Nicht aufgenommen sind Dokumente aus Gotthold Schwelas beruflichem Schriftverkehr zum kirchlichen Personenstandswesen (Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden von Gemeindemitgliedern), der Briefverkehr seines Sohnes Martin, der als Rechtsanwalt tätig war, und sich wiederholende Drucke.

Mit der innerhalb des Digitalisierungsprojekts erfolgten Neuverzeichnung ging eine Korrektur der Aktentitel einher. Zumeist wurden zu allgemein gehaltene Titel konkreter gefasst, Ungenauigkeiten vermieden und dem marxistisch-leninistischen Geschichtsbild entstammende Terminologien und Ausdrucksweisen modernisiert. Aus diesem Grunde erhielten alle Verzeichniseinheiten neue Titelblätter. Lediglich bei besonderen bestandsgeschichtlichen Aspekten oder wenn sie weiterführende Informationen enthalten, werden sie in der Präsentation gezeigt. Da das Titelblatt bei Mětšk die Blattzahl „1“ hatte, beginnen die meisten Akten daher jetzt mit der Blattzählung „2“. Die originale Blattzählung, ohnehin mehrmals geändert, ist nicht immer kohärent.


[1] Heutige Schreibweise: Bramborski Serbski Casnik.

[2] Zu Leben und Wirken von Christian Schwela liegt eine Autobiografie sowie eine umfangreiche Biografie vor: Christian Schwela, ßerbski Zasńikaŕ. Jogo žyweńe, wót ńogo ßamego hopißane, Chošebuz 1927; Dietmar Schulze: Christian Schwela. Wendischer Lehrer, Kantor und Redakteur = Kito Šwjela. Serbski šulaŕ, kantor a redaktor, Drebkau 2019.

[3] SKA ISL XXVII 34 K 2.17.

[4] SKA N XIII 13, p. 85.

[5] G. Šẃela: Nastaśe a rozwiśe dolnoserbskego pšawopisa, in: Časopis Maćicy Serbskeje 56 (1903) 1, p. 3–22; ders.: Někotare pšawidła za dolnoserbski pšawopis, in: Časopis Maćicy Serbskeje 56 (1903) 1, p. 23–37. Beide Aufsätze erschienen als Separatdruck unter dem Titel: G. Šẃela: Dolnoserbski pšawopis. Dwa nastawka …, Budyšin 1903; G. Schwela: Lehrbuch der Niederwendischen Sprache. Erster Teil: Grammatik, Heidelberg 1906; ders.: Lehrbuch der niederwendischen Sprache. Übungsbuch, Cottbus 1911.

[6] Bogumił Šwjela: Deutsch-niedersorbisches Taschenwörterbuch, Bautzen 1953. Ebenfalls posthum erschien ein reduziertes niedersorbisch-deutsches Wörterbuch nach Notizen Schwelas. Bogumił Šwjela: Dolnoserbsko-němski słownik, Budyšyn 1961.

[7] Gotthold Schwela, Die Flurnamen des Kreises Cottbus/​Stronine meńa Chóśobuskego hobcereńa, Berlin 1958 (= Veröffentlichungen des Instituts für Slawistik, Nr. 17), S. V.

[8] Es handelte sich um Alfred Mietzschke/​Frido Mětšk (1916–1990), der diese nach Schwelas Tod übernahm. SKA, ZM XXXV 41 Ar, Brief Nr. 8 und 9.

[9] B. Šẃela: Serbske praeposicyje, in: Časopis Maćicy Serbskeje 86 (1933), p. 20–45; 87 (1934) 1, p. 1–16; 2, S. 83–105; 88 (1935), p. 1–24; als Sonderdruck: G. Schwela: Serbske praeposicyje. Pó hugronach z ludowych hust hobźěłane a zestajane, Budyšyn 1934.

[10] Frido Mětšk: Zur volkskundlichen Arbeit Bogumił Šwjelas. Zu seinem hundertsten Geburtstag, in: Lětopis C 16 (1973), p. 86–89.

[11] Joachim Krause: Auszüge aus „Im Glauben an Gott und Hitler …, Markkleeberg 2018“, https://www.krause-schoenberg.de/Wieratal_Auszuege_Im-Glauben-an-Gott-und-Hitler.pdf, p. 12 (17.3.2022).

[12] Aus Gründen der bestehenden Sperrfrist und des Persönlichkeitsschutzes des 2011 verstorbenen Herbert Nowak wurden diese Dokumente nicht in die digitale Präsentation aufgenommen.

[13] Eine Auswahl an Korrespondenzen aus dem Nachlass wurde von Frido Mětšk publiziert. Vgl. Frido Mětšk: Listy Mikławša Andrickeho Bogumiłej Šwjeli, pisane w lětach 1894–1908, in: Lětopis A 3 (1955), p. 42–62; ders.: Z listow Oty Wićaza Bogumiłej Šwjeli a Fridej Mětškej z fašistiskeho časa, in: Lětopis B 5 (1958), p. 145–148; ders.: Zagadnienia mazursko-łużyckie w listach Ryszarda Abramowskiego, in: Komunikaty mazursko-warmińskie (1960), no.1 (67), p. 101–113; ders.: Čěske wliwy a styki w młodoserbskim hibanju Delnjeje Łužicy. 1888–1908, in: Slavia Occidentalis 23 (1963), p. 105–159; ders.: Wo słowjanskich poćahach Bogumiła Šwjele, in: Lětopis A 14 (1967) 1, p. 47–56.

[14] Frido Mětšk: Zawostajenstwo Bogumiła Šwjele (1873-1948) w Serbskim kulturnym archiwje. K 100. posmjertnym narodninam zasłužbneho serbskeho prócowarja, In: Lětopis A 19 (1972) 2, p. 197–207.

[15] Bekannt ist die veröffentlichte Handschrift aus der Universität Köln. (Vgl.: Die Kölner niedersorbische Liederhandschrift. Ein Kirchengesangbuch des 18. Jahrhunderts, hrsg. von Reinhold Olesch, Köln/​Wien 1977) Eine weitere, unveröffentlichte Handschrift besitzt die Staats- und Universitätsbibliothek Bremen. Die in der Bibliothek der Freien Universität Berlin aufbewahrten 47 Bücher und 7 Handschriften der Schwelaschen Sammlung konnten 2014/15 vom Sorbischen Institut übernommen werden. Vgl. I. Neumannojc: Knigły Šwjele slědk w Łužycy, in: Nowy Casnik 66 (2014) 47; Doris Teichmannowa: Rukopise a knigły ze zawóstajeństwa Bogumiła Šwjele zasej w serbskej domowni, in: Rozhlad 65 (2015) 5, p. 35–36. Sie sind nicht Bestandteil des digitalisierten Nachlasses, werden aber ebenfalls online präsentiert (Sammlung des Sorbischen Instituts im Portal Sachsen.digital).

[16] Das Manuskript seiner Publikation über die Flurnamen des Kreises Cottbus hatte Schwela nach Kriegsende nach Poznań gegeben, um es dort veröffentlichen zu lassen. Später wurde es an das Slawistische Institut des Deutschen Akademie der Wissenschaften Berlin vermittelt und von dieser Einrichtung 1958 publiziert. Dieses Institut erhielt auch eine Reinschrift des Deutsch-niedersorbischen Wörterbuchs.

[17] Die unzähligen Umsignierungen in den Akten deuten darauf hin, dass es mehrere Versuche für den Aufbau eines Ordnungsschemas gab.

[18] Diese waren nicht ausschließlich nach inhaltlichen Aspekten, sondern teilweise durch die Größe der Archivkartons vorgegeben.

[19] Aus dem Alltag eines wendischen Pfarrers. Die Tagebücher von Bogumił Šwjela/​Gotthold Schwela 1897–1945, hrsg. von Annett Bresan, Bautzen 2022.

[20] Im Nachlass Gotthold Schwela verblieben von ihm zusammengetragene Dokumente aus dem Nachlass des niedersorbischen Dichters Mato Kosyk. Diese sind nicht Bestandteil des digitalisierten Schwela-Nachlasses.

[21] Frido Mětšk: Bestandsverzeichnis des Sorbischen Kulturarchivs in Bautzen. 2. Nachlässe von Mitgliedern der Maćica Serbska, Bautzen 1976, p. 128–129.

[22] Mětšk habe 1942 aufgrund der Bitte Schwelas einen kleinen Teil des handschriftlichen Materials übernommen, besonders Korrespondenz und Akten, die nicht in die Hände der Nationalsozialisten fallen sollten. Vgl.: Frido Mětšk: Zawostajenstwo Bogumiła Šwjele (1873–1948) w Serbskim kulturnym archiwje. […], in: Lětopis A 19 (1972) 2, p. 197.

[23] Beispielsweise: „Drogowanje do Jugoslawije […] (wobsejźeństwo wudawarja)“ – Šwjela, Bogumił: Běźenje a wěženje. Wuběrk literarnych źěłow, Frido Mětšk [Wubr.; zest., pśedgrono a pśisp. napisał], Budyšyn 1973, p. 222; „Fascikel tuteje wažneje korespondency (w mojim wobsydstwje ) informuje […]“; „W zběrce ‚Słowjanske listowanje Bogumiła Šwjele, 1908–1938‘ (w mojim wobsydstwje)“, vgl. Frido Mětšk: Wo słowjanskich poćahach Bogumiła Šwjele, In: Lětopis A 14 (1967) 1, p. 48.

[24] A. Brězanec: Dary do SKA, in: Rozhlad 51 (2001) 4, p. 153.

[25] Im beschriebenen Bestand, und daher auch durch die Signatur N XIII gekennzeichnet, ist ein umfangreiches Konvolut mit den Briefen Schwelas an Ota Wićaz. Diese Briefe stammen aus dem Nachlass von Ota Wićaz.

[26] Frido Mětšk: Die historischen Bestände des Sorbischen Kulturarchivs. Ein Rückblick mit Anhang (Spezialinventar zum „Maćica-Deponat P. Nowotnys“), in: Lětopis B 26 (1979) 2, p. 178–186.



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