Archivverbund Bautzen (Stadt- und Staatsfilialarchiv Bautzen)

Verzeichnungseinheiten

Die Verzeichnungseinheiten, die von diesem Archiv erfasst wurden, sind noch in Bearbeitung

Historischer Kontext

Ab 1835 existierten im Königreich Sachsen Provinzialbehörden als Mittelinstanzen des Verwaltungsaufbaus. Im Jahr 1873 wurde die vormalige Kreisdirektion Bautzen in Kreishauptmannschaft Bautzen umbenannt und ihr die vier Amtshauptmannschaften Bautzen, Kamenz, Löbau und Zittau unterstellt. Die Stadt Bautzen wurde 1922 als eigenständiger Stadtkreis aus der Amtshauptmannschaft ausgegliedert.

Bereits Anfang der 1920er Jahre wurde nach einem entsprechenden gemeinsamen Beschluss des Reiches sowie der Länder Preußen und Sachsen bei der Kreishauptmannschaft Bautzen eine außerordentliche Organisationseinheit installiert, die später verwaltungsintern als Wendenabteilung bezeichnet wurde. Ihre Gründung fällt in den historischen Kontext des für das Deutsche Reich verlorenen Weltkrieges und der durch den Versailler Friedensvertrag bestimmten Gebietsverluste. Sowohl auf Reichs- wie auch auf Länderebene wähnten die deutschen Entscheidungsträger den Bestand des Reiches bedroht durch nationalistische, irredentistische und vor allem slawische Panbewegungen. Der sorbische Wunsch nach kultureller Sicherheit oder auch begrenzter politischer Autonomie innerhalb der bestehenden staatlichen Ordnung wurde insbesondere in Sachsen rezipiert als tschechisch inspirierter Separatismus, der mit jedem nur möglichen Mittel zu sup­pri­mie­ren war, eines davon war die Wendenabteilung. Diese Verwaltungsstelle fungierte zuerst als eine Art konspirativer Nachrichtendienst, der sorbisches Leben beobachtete und darüber dem Regierungs- und Verwaltungsapparat berichtete. Später übernahm die Stelle zunehmend auch Aufgaben des Verwaltungsvollzugs, beispielsweise durch Zuwendungen von Fördermitteln.

Nachdem aufgrund von Sparmaßnahmen die Kreishauptmannschaft Bautzen 1932 aufgelöst und mit der Dresdener zur Kreishauptmannschaft Dresden-Bautzen (ab 1939 Regierungsbezirk Dresden-Bautzen, bis dieser kriegsbedingt zum 1. Juli 1943 die Tätigkeit einstellte) vereinigt worden war, wurde die Wendenabteilung der Amtshauptmannschaft Bautzen zugewiesen.

Kreishauptleute (und zugleich Leiter der Wendenabteilung) in Bautzen waren Karl Néale von Nostitz-Wallwitz (1919–1924), Friedrich Wilhelm Richter (1924–1929) und Karl Waentig (1929–1932).

Amtshauptmann bzw. ab 1939 Landrat in Bautzen waren Johannes Sievert (1922–1938) und dann Hermann Eckhardt (1938–1945), denen ab 1932 auch die Aufsicht über die Wendenabteilung oblag.

Der vereinigten Kreishauptmannschaft Dresden-Bautzen standen bis 1933 der vormalige sächsische Ministerpräsident Johann Wilhelm Buck sowie in der Folge Wolfgang A. S. Schettler (1933), Freimuth Karl Conrad Heerklotz (1933/34), Freiherr Friedrich Karl von Eberstein (1934–1936) und Wilhelm Schepmann (1936–1943) vor, die aber wohl keine Berührung mit der Wendenabteilung hatten.

Überlieferungsgeschichte

Die Unterlagen der Wendenabteilung sind überliefert im Staatsfilialarchiv Bautzen und bilden dort den Provenienzbestand „50609 Kreishauptmannschaft Bautzen (Wendenabteilung)“.

Das Staatsfilialarchiv Bautzen ist u.a. für die Überlieferung der staatlichen Verwaltungsbehörden der Oberlausitz bis 1945 (im Einzelfall bis 1952) zuständig. Gemeinsam mit dem für die Überlieferung der Stadt Bautzen zuständigen Stadtarchiv bildet es den Archivverbund Bautzen.

Die Überlieferung der Wendenabteilung liegt nur fragmentarisch vor. Ihre (älteren) Akten befanden sich bei Kriegsende 1945 bereits im Staatlichen Zweigarchiv für die Oberlausitz in Bautzen und dieser Teil verblieb auch durchgängig in staatlichem Archivgewahrsam (ab Mai 1945 Sächsisches Landesarchiv Bautzen und ab 1965 Historisches Staatsarchiv Bautzen). Ein zweiter Teil der Unterlagen befand sich im Sommer 1945 noch in der Registratur des Landratsamtes (vormals Amtshauptmannschaft) Bautzen, wo er im Mai 1945 durch sowjetische Besatzungsbehörden beschlagnahmt und der Domowina übergeben wurde. Von der Domowina wurde dieser Teil der Überlieferung 1952 als Depositum an das Sorbische Kulturarchiv in Bautzen übergeben. Weitere Bestandsfragmente sind durch Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsbehörden verunordnet oder abgetrennt und (teils) später zurückgegeben worden.

Nach dem Zusammenbruch der DDR wurden die Unterlagen als staatliches Archivgut an das Sächsische Staatsarchiv abgegeben und dort mit den oben beschriebenen übrigen Unterlagen der Wendenabteilung zum Bestand „50609 Kreishauptmannschaft Bautzen – Wendenabteilung“ vereint.

Ebenfalls im Staatsfilialarchiv Bautzen überliefert sind die sorabistisch einschlägigen Unterlagen der o.g. Kreis- und Amtshauptmannschaften des sorbischen Siedlungsgebietes (d.h. insbesondere der Kreishauptmannschaft Bautzen sowie der Amtshauptmannschaft Bautzen und Kamenz). Im Stadtarchiv Bautzen sind weiterhin die Unterlagen der Stadtverwaltung Bautzen sorabistisch einschlägig.

Sorabistische Relevanz

Die überlieferten Unterlagen der Wendenabteilung  vermitteln ein sehr dichtes Bild dessen, womit sich diese Dienststelle beschäftigt hat, sowie ganz allgemein der Sorbenphobie des deutschen Regierungs- und Verwaltungsapparates. Die  irreguläre Zwerg-Dienststelle wurde zwar behördenintern als Abteilung bezeichnet, bestand aber tatsächlich lediglich aus einem Sachbearbeiter. Dieser operierte disloziert und konspirativ in einer angemieteten Privatwohnung in Bautzen. Deswegen und wegen ihrer wesentlichen Betätigungsfelder könnte die Dienststelle historiografisch als Nachrichtendienst bezeichnet werden (tatsächlich verwendete die Wendenabteilung Anfang der 1920er Jahre die Dienststellenbezeichnung Nachrichtenstelle). 

Eine gesetzliche/verordnungsmäßige Aufgabenzuweisung oder eine interne Geschäftsordnung der Dienststelle ist beim Bestand nicht überliefert. Im täglichen Dienstbetrieb beschäftigte sich die Wendenabteilung insbesondere damit, alle nur denkbaren Informationen mit sorbischen Bezügen zu sammeln, auszuwerten und darüber zu berichten. Daraus sind die umfangreichen Zeitungsausschnittsammlungen und Berichtsakten hervorgegangen. Und so ist im Laufe der Zeit die sog. Wendenbibliothek (oder auch Wendenarchiv) entstanden, in die während der NS-Zeit nachweisbar umfangreiche geraubte private Registraturen, Bibliotheken und andere Sammlungen integriert wurden. 

Ein weiteres Betätigungsfeld der Wendenabteilung war die Förderung verschiedenster (pseudo-)wissenschaftlicher, sportlicher, touristischer, kultureller und bildungspolitischer Vorhaben, sofern diese der Einschränkung oder Zurückdrängung des sorbischen Lebens und sorbischer Interessen dienten. 

Unmittelbar nach der NS-Machtergreifung suchte die Wendenabteilung eigeninitiativ die Kooperation mit Gestapo und NS-Parteidienststellen. Auffällig ist, wie eilfertig die Wendenabteilung immer wieder anregte die Gestapo einzubeziehen. Die Bearbeiter (der Amtshauptmann und der Sachbearbeiter bei der Wendenabteilung) wirkten nicht nur als vorauseilende Erfüllungsgehilfen, sondern sogar als Verstärker der NS-Politik. 

Aus den Unterlagen wird deutlich die Haltung und Verantwortung der beschriebenen Personen erkennbar. Dies betriff eine Vielzahl prominente sorbische Persönlichkeiten (u.a. Pawoł Nedo, Měrćin Nowak-Njechorński) sowie auch Vertreter der sächsischen Verwaltung (u.a. die Bautzener Kreishauptleute Friedrich Ernst Georg von Craushaar, Karl Néale von Nostitz-Wallwitz, Friedrich Wilhelm Richter

und Karl Waentig sowie die Bautzener Amtshauptleute/Landräte) und der Wissenschaft (u.a. den Leipziger Rasseforscher Otto Reche). Insofern sind die Unterlagen über die Sorabistik hinaus auch für die zeit- und landesgeschichtliche Forschung von Interesse. 

Bemerkenswert ist, dass bei der Kreishauptmannschaft Bautzen bereits vor der Gründung der Wendenabteilung ähnliche Aufgaben wahrgenommen wurden. Dies ergibt sich aus entsprechenden Sachakten mit der Laufzeit 1909–1917, die dort geführt wurden und einem ähnlichen Muster folgten wie später die der Wendenabteilung.