Verzeichnungseinheiten
Hier können Sie sich die Verzeichnungseinheiten, die von diesem Archiv erfasst wurden, auflisten lassen.
Historischer Kontext
Von der Mitte des 19. Jahrhunderts an begannen Naturwissenschaftler und Mediziner, Systeme zur Klassifizierung der Menschheit nach Rassen zu entwickeln. Aus diesen heute als widerlegt geltenden Theorien der sog. Rassenkunde wurden weitere Vorstellungen und bald auch politische Forderungen abgeleitet, u. a. die sogenannte Rassenhygiene. Ihre Vertreter meinten, die natürliche Auslese werde durch die zunehmende Zivilisation behindert: Kranke, schwache und arme Menschen würden sich ungehindert fortpflanzen, wodurch die Gesundheit der Menschheit insgesamt bzw. einzelner Nationen (diese wurden vielfach mit Rassen gleichgesetzt) bedroht seien. Die Rassenhygieniker wollten deswegen die Fortpflanzung von vermeintlich Erbgesunden fördern und die von vermeintlich Erbkranken verhindern. Diese als Eugenik bezeichnete Lehre wurde während der Zwischenkriegszeit nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und auch in den USA vertreten (bereits 1912 wurde in London infolge des International Eugenics Congress ein Permanent International Eugenics Committee, später die International Federation of Eugenic Organizations IFEO gegründet).
In Deutschland wurde 1923 mit Fritz Lenz’ Berufung an die Universität München erstmals ein Lehrstuhl für Rassenhygiene besetzt, die kurz darauf Pflichtfach für Studierende der Medizin wurde. 1927 wurde in Berlin-Dahlem das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A) gegründet, das bis zum Zweiten Weltkrieg in Deutschland das wissenschaftliche Zentrum der Rassenkunde wurde. Bald bildete sich im deutschsprachigen Raum eine kleine, intensiv vernetzte Gruppe von Rassenforschern, die Mitglieder derselben wissenschaftlichen Interessenvertretungen, Institute und Universitäten waren und gegenseitig ihre Karrieren beförderten. Dazu gehörten u .a. die Mediziner Eugen Fischer (1874–1967), Fritz Lenz (1887–1976) und Otmar Freiherr von Verschuer (1896–1969) sowie die Anthropologen Egon Freiherr von Eickstedt (1892 – 1965) und Otto Reche (1879 – 1966). Sie alle waren später vielfach an nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt, fanden ihre rassentheoretischen und rassenhygienischen Überlegungen doch lebhaften Zuspruch bei den Nazionalsozialisten. Die Rassenkunde diente der NSDAP als Legitimation für die sogenannten Euthanasieverbrechen sowie später des rassenideologischen Vernichtungskrieges.
Überlieferungsgeschichte
Das Universitätsarchiv Leipzig ist eines der größten europäischen Universitätsarchive und verwahrt die Überlieferung der Universität seit deren Gründung im Jahre 1409. Darunter befinden sich auch die Registraturen der Institute sowie Personalunterlagen und Nachlässe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
Im Bestand „lnstitut für Ethnologie der Universität Leipzig“ mit den Teilbeständen „Ethnologisch-Anthropologisches Institut/Institut für Rassen- und Völkerkunde (1927–1945)“, „Deutsche Gesellschaft für Blutgruppenforschung“ sowie „Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene“ finden sich umfangreiche und vielfältige Unterlagen aus dem Kontext der rassenkundlichen Forschung und Propaganda bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Unterlagen sind nur unvollständig überliefert und stark verunordnet. Zu dem Bestand existiert ein „Vorläufiges Findbuch“, das im Lesesaal einsehbar ist.
Korrespondierend zu diesen Unterlagen ist der Bestand „Nachlass Otto Reche (NA Otto Reche)“, der überwiegend Bildmaterialien enthält (Positivabzüge, Glasplatten und Postkarten). Bei diesen Unterlagen handelt es sich um Schriftgut aus der Registratur des Ethnologisch-Anthropologischen Instituts/Instituts für Rassenkunde. Ebenfalls korrespondierend zu den o.g. Unterlagen sind verschiedene Personaldokumente früherer Rassekundler an der Universität Leipzig (Studierende und Wissenschaftler), etwa die Personalakte Otto Reches sowie die Personalakte seines Assistenten Hans Kleiner.
Sorabistische Relevanz
Die überlieferten Unterlagen im Universitätsarchiv Leipzig dokumentieren eindrücklich Inhalt und Umfang der rassekundlichen Forschung im Deutschland der 1920er und 1930er Jahre. Im Zentrum steht dabei der Anthropologe Otto Reche, der von 1927 bis 1945 Direktor des Leipziger Ethnologisch-Anthropologischen Instituts/Instituts für Rassen- und Völkerkunde war. Während dieser Zeit versuchten Leipziger Rasseforscher, ihre Vorstellungen von Rassen und Menschen u. a. durch massenhafte Untersuchungen sorbischer Menschen zu belegen. Dazu gehörten anthropologische Vermessungen mit Anthropometer, Tasterzirkel, Stangenzirkel und Nasentiefenmesser sowie Haut-, Augen- und Haarfarbentafeln.
Von besonderem Interesse für die sorabistische Forschung scheinen die fotografischen Aufnahmen zu sein, die Reche und seine Assistenten in der Lausitz gefertigt haben und die bisher für die Forschung nicht zugänglich sind. Außerdem zeigen die Unterlagen im Universitätsarchiv Leipzig die personellen Netzwerke der entsprechenden Wissenschaftler und ihre auf die Lausitzer Sorben bezogenen Untersuchungen auf (z. B. die 1937 verfasste Dissertation von Hans Kleiner: „Oberlausitzer Wenden. Ein Beitrag zur Rassenkunde Deutschlands“). Wissenschaftstheoretisch ist dabei von besonderem Interesse die ideologische Rezeption dieser Arbeiten durch die Nationalsozialisten; Kleiners Arbeit durfte – trotz langwieriger Intervention Reches – nicht veröffentlicht werden.