Druck und Handschrift
Eine breit angelegte Druckoffensive markiert aus sorbischer Perspektive den Beginn des 18. Jahrhunderts. Lagen bis dahin nur wenige Bücher vor, wurden nun auf Initiative sorbischer Pfarrer, besonders hervorgehoben sei Michael Frentzel, einiger Adliger, so etwa der Freifrau Henriette Catharina von Gersdorf, sowie durch Unterstützung der Oberlausitzer Stände etliche für Gottesdienst und Unterricht benötigte Schriften in sorbischer Sprache gedruckt. Wichtige Bücher dieser Zeit waren Luthers Kleiner Katechismus (1693), die Episteln und Evangelien (1695), die kirchliche Agende (1696), der Psalter (1703), das Neue Testament (1706) und das Gesangbuch (1710). Im Jahr 1728 wurde schließlich die gesamte Bibel in obersorbischer Sprache gedruckt. Auf Niedersorbisch erschienen Luthers Kleiner Katechismus (1706) und das Neue Testament (1709). Alle diese Bücher waren in erster Linie für den Dienst der Pfarrer, Kantoren und Lehrer gedacht. Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts entstanden zunehmend Drucke, die sich an weitere Bevölkerungskreise richteten. Große Verbreitung fanden hier vor allem Gesangbücher, Andachtsliteratur und religiöse Traktate, gegen Ende des 18. Jahrhunderts erschienen dann erste weltliche Texte in sorbischer Sprache. Der vermehrte Druck sorbischer Texte ersetzte damals jedoch in keiner Weise ein reges Handschriftenwesen, vielmehr ergänzten sich Druck- und Handschriftenkommunikation und standen in fruchtbarer Wechselbeziehung zueinander. Vor allem in der sorbischen Diaspora sowie in Kleinwelka selbst kursierte eine große Anzahl handschriftlich verbreiteter Texte.
Die sorbische Pfarrschaft
Maßgeblicher Motor der Publikationsoffensive war die sorbische evangelische Pfarrschaft. Ein großer Teil dieser hatte in Leipzig oder Wittenberg studiert. An beiden Orten bestanden studentische Vereinigungen, in denen sich die angehenden Theologen in sorbischer Sprache üben konnten. Vor allem das 1716 in Leipzig gegründete Predigerkollegium entwickelte sich rasch zum kulturellen und intellektuellen Zentrum mit großer Strahlkraft für die sorbische Lausitz. Die Predigervereinigungen trugen maßgeblich zur Vernetzung, Sozialisierung und Verbürgerlichung des sorbischen Pfarrstandes bei, standen doch neben Sprachpflege auch Geselligkeit und Austausch im Zentrum der regelmäßigen Treffen. Darüber hinaus lässt sich insbesondere an den Predigervereinigungen im Laufe des 18. Jahrhunderts eine wachsende nationale Profilbildung beobachten. Sorbische Sprache, Geschichte und Kultur wurden zunehmend thematisiert, beschrieben und kategorisiert. Diese Bewegung fand in der Diasporaarbeit der Herrnhuter ihr Gegenstück, sprach man doch innerhalb der Brüdergemeine häufig von Volk Gottes und unterschiedlichen Nationen und begegnete dem Sorbischen mit einer theologisch begründeten Wertschätzung. Redewendungen und Begriffe wie wendische Brüder, das Gemeinlein aus den Wenden und wendische Nation hatten ihren festen Platz im Wortschatz der Brüdergemeine und trugen ihrerseits zur nationalen Profilierung bei.
In Bezug auf Herrnhut war die sorbische Pfarrschaft von Beginn an gespalten. Einige Geistliche waren in ihrer Jugend selbst erweckt worden und unterstützten die von Herrnhut ausgehende Bewegung. Dazu zählten etwa Johann Pech, Johann Gottfried Kühn, Johann Benade sowie eine Generation später Christian Friedrich Brahtz, Johann Noack und Johann Wenzel. Diese förderten die Sozietäten in ihren Dörfern, hielten selbst Erbauungsstunden ab, unterstützten die Arbeit in Kleinwelka und setzten sich für die Verbreitung brüderischer Andachtsliteratur in sorbischer Sprache ein. Einige der genannten Geistlichen waren auch Mitglied der Herrnhuter Predigerkonferenz.
Daneben existierte eine große Anzahl sorbischer Geistlicher, die aktiv gegen die Ausbreitung der Herrnhuter in ihren Gemeinden vorging. Die in Herrnhut gelebte emotionale Frömmigkeit, mehr noch aber die starke Einbeziehung von Laien, die Schaffung neuer liturgischer Formen und eine weitestgehend außerhalb der Kirchenmauern gelebte Frömmigkeit stießen auf starken Widerstand der von der lutherischen Orthodoxie geprägten Geistlichkeit. Führend in der antiherrnhutischen Fraktion unter den obersorbischen Geistlichen waren Adam Zacharias Schirach sowie sein Sohn Adam Gottlob. Beide trugen mit zahlreichen Publikationen zur Verbreitung des sorbischen Schrifttums bei. Ihr Wirken kann unter dem Stichwort einer christlich geprägten (Volks-)Aufklärung gefasst werden. Gerade in ihrem Einsatz für die Bildung breiter Bevölkerungskreise ergaben sich auch große Schnittmengen mit der Brüdergemeine, deren Diasporaarbeit häufig einer umfassenden Bildungsarbeit für Kinder wie Erwachsene gleichkam.
Die pietistisch geprägte Universitätsstadt Halle in Verbindung mit den dortigen Franckeschen Schulanstalten spielte als Ausbildungs- und Bezugsort der sorbischen Geistlichkeit vor allem für die Niederlausitz eine wichtige Rolle. Zahlreiche führende niedersorbische Geistliche wie Johann Gottlieb Fabricius, Johann Ludwig Wille, Georg Petermann, Johann Friedrich Fritze und Gotthilf Christlieb Fritze hatten dort studiert oder unterhielten Kontakte dorthin. Einige dieser hallisch geprägten Geistlichen unterstützten die Herrnhuter Diasporaarbeit in der Niederlausitz, andere hingegen versuchten, die Ausbreitung brüderischer Sozietäten in ihren Parochien zu verhindern.
Erneuerungsbewegung bei den katholischen Sorben
Ein ähnlicher Erneuerungsprozess, wie ihn der Pietismus auf Seite der evangelischen Sorben ausgelöst hatte, und der sowohl innerkirchlich als auch gesamtgesellschaftlich Spuren hinterließ, lässt sich auch auf katholischer Seite beobachten. Angestoßen wurde er durch die Konversion des sächsischen Herrschaftshauses am Beginn des 18. Jahrhunderts. Dieser Konsolidierungs- und Erneuerungsprozess war wesentlich vom barocken Zeitgeist geprägt und getragen. Neben ersten Bemühungen um das sorbische katholische Schrifttum sind hier vor allem die Aufwertung von Frömmigkeitspraktiken und umfangreiche Baumaßnahmen zu nennen. Am Kloster St. Marienstern in Panschwitz und am Domstift in Bautzen erfolgten umfassende Renovierungen und Erweiterungen, zum Teil wurden neue Pfarreien gegründet bzw. Gotteshäuser erbaut. Motor und Impulsgeber dieser Entwicklung war nicht zuletzt das 1728 in Prag gegründete Wendische Seminar, in dem der sorbisch-katholische Pfarrnachwuchs ausgebildet wurde und das sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zur wichtigen kulturellen Vermittlungsinstanz entwickelte.
Alltag im 18. Jahrhundert
Die großen, häufig erst nachträglich sichtbaren Linien der sorbischen Kulturgeschichte tangierten die Bevölkerung in den sorbischen Dörfern, Marktflecken und Landstädten der Frühen Neuzeit jedoch nur bedingt. Das Leben dort war geprägt vom Eingebundensein in familiäre, herrschaftliche, kirchliche, teilweise auch zünftische Strukturen. Häufig wurden diese Bindungen durch die Hinwendung zur Brüdergemeine gelockert bzw. aufgebrochen. Konflikte, die sich daraus ergaben, werden in den Lebensläufen nur teilweise thematisiert. So werden etwa in Bezug auf die Herrschaft Auseinandersetzungen um Fronarbeit und Leibeigenschaft nur selten angesprochen. Gelegentlich werden schwere Dienste auf dem Hof erwähnt, häufiger geht es jedoch in den Lebensläufen um den Losbrief. Dieser beurkundete die Entlassung aus dem Herrschaftsverhältnis und eröffnete damit die Möglichkeit, sich in einem Gemeinort niederzulassen. Einige der Mitglieder der Brüdergemeine erhielten den Losbrief unentgeltlich, andere dagegen mussten seinetwegen langwierige Auseinandersetzungen führen.
Blickt man auf die Schul- und Ausbildungswege, so ergibt sich ein pluriformes und sehr uneinheitliches Bild. Einige Kinder besuchten keine Schule, andere wiederum wurden durch Eltern oder Angestellte zu Hause unterrichtet, besuchten für einige Wochen eine Winkelschule oder verließen das Elternhaus schon frühzeitig, um am Unterricht in einer weiterführenden Schule teilzunehmen. Nicht selten traten jedoch schon unter zehnjährige Kinder bei vermögenderen Bauern oder Handwerkern in Dienst, um somit selbst für ihr Auskommen zu sorgen. Häufig hüteten sie das Vieh oder hatten auf jüngere Kinder aufzupassen. Teilweise wurden die Dienstjahre aber auch gezielt dazu genutzt, sich Grundkenntnisse des Deutschen anzueignen, da in den Familien selbst meist ausschließlich Sorbisch gesprochen wurde.
Anbruch der Moderne
Eine einschneidende Zäsur für alle Bewohner der Lausitz stellte der Siebenjährige Krieg dar. Mit seinen Verwerfungen und Neuerungen markiert er den Anbruch der Moderne in den Lausitzen. Vor allem die Schlacht bei Hochkirch am 14. Oktober 1758, bei der das Dorf fast vollständig zerstört und zahlreiche weitere Ortschaften verwüstet wurden, prägte sich tief ins kollektive Gedächtnis der Lausitz ein. Die Zerstörungen lösten eine große Welle der Solidarität unter den Diasporageschwistern aus, bis aus der Niederlausitz trafen Naturalien und Hilfsgüter für betroffene Geschwister in Kleinwelka ein. Hohe Kriegsabgaben, Einquartierungen und Plünderungen drückten die Bevölkerung, zudem wurden viele Männer zum Soldatendienst eingezogen.
Vor allem in der Niederlausitz stellten Rekrutierungen während des gesamten 18. Jahrhunderts eine reale, von vielen Bewohnern befürchtete Perspektive dar. Neben allen damit einhergehenden Nöten konnte der Soldatendienst jedoch auch eine große Bildungs- und Entwicklungschance darstellen. Für viele ehemalige Soldaten zählten die Jahre in der Fremde zu den prägenden Erlebnissen, bei denen sie neue Kenntnisse, Techniken und Fertigkeiten erlernt hatten, vor allem aber markiert der Soldatendienst nicht selten den Übergang zur sorbisch-deutschen Zweisprachigkeit. Ähnliches gilt für die Diasporaarbeit der Brüdergemeine. Auch in ihrem Umfeld erwarben und festigten zahlreiche Erweckte, meist vor allem Mädchen und Frauen, erste Deutschkenntnisse; der Umzug in einen Gemeinort bedeutete vielfach den Wechsel von der sorbischen Ein- hin zur sorbisch-deutschen Zweisprachigkeit. Genau dieser Wechsel kennzeichnet für die sorbische Lausitz den Übergang zur Moderne und steht somit am Beginn einer neuen Epoche.