Verzeichnungseinheiten
Hier können Sie sich die Verzeichnungseinheiten, die von diesem Archiv erfasst wurden, auflisten lassen.
Historischer Kontext
Der Völkerbund (frz. Societe des Nations, engl. League of Nations) entstand als Ergebnis der Pariser Friedenskonferenz von Versailles am Ende des Ersten Weltkrieges. Nachdem die Vollversammlung der Konferenz am 28. April 1919 die Völkerbundsatzung beschlossen hatte, nahm die Organisation am 10. Januar 1920 ihre Arbeit auf; Sitz wurde das schweizerische Genf.
Nach dem Willen der vertragschließenden Mächte sollte es die Aufgabe des Völkerbundes sein, durch schiedsgerichtliche Beilegung internationaler Konflikte sowie durch Abrüstung und ein System der kollektiven Sicherheit den Frieden weltweit dauerhaft zu sichern, sowie außerdem die Zusammenarbeit der Völker zu fördern. Das höchste Organ des Völkerbundes war die jährlich tagende Bundesversammlung, in der jeder Mitgliedsstaat eine Stimme hatte. Auch der kleinere Rat traf sich einmal jährlich. Er setzte sich zusammen aus Vertretern der Großmächte als dauernde Mitglieder (Vereinigtes Königreich, Frankreich, Italien [bis 1937], Japan, Deutsches Reich [1926–1933], UdSSR [1934–1939]) sowie weiteren, rotierenden Mitgliedern. Als operative Arbeitsstrukturen gab es lediglich den Generalsekretär und das ständige Sekretariat.
Der von September 1922 bis April 1946 bestehende Ständige Internationale Gerichtshof war zwar auf Grundlage der Völkerbundsatzung entstanden, formal aber kein Organ des Völkerbundes.
Gründungsmitglieder des Völkerbundes waren zunächst 32 Siegermächte des Ersten Weltkrieges (die USA, die durch den Krieg zur führenden Weltmacht aufgestiegen waren, traten der Organisation jedoch nicht bei) sowie 13 Staaten, die am Krieg nicht teilgenommen hatten. Bis 1937 erwarben weitere 21 Staaten die Mitgliedschaft. Einige Staaten verließen die Organisation auch wieder (etwa Brasilien 1928, Japan und Deutschland 1933, Italien 1937; die Sowjetunion wurde gar 1939 ausgeschlossen). Während das kriegsbesiegte Österreich dem Völkerbund bereits 1920 beitreten durfte, blieb dem Deutschen Reich der Zugang zunächst verwehrt. Erst nachdem es Reichsaußenminister Gustav Stresemann gelungen war, eine friedliche Revision des Versailler Vertrages einzuleiten und die außenpolitische Isolation Deutschlands zu beenden, wurde das Deutsche Reich 1926 Mitglied des Völkerbundes – und auch sofort ständiges Mitglied des Völkerbundrates.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Gründung der Vereinten Nationen (UNO) beschlossen die seinerzeit noch 34 Mitglieder des Völkerbundes am 18. April 1946 die Auflösung der Organisation.
Überlieferungsgeschichte
Das UN-Archiv in Genf (frz. Archives de Office des Nations Unies a Geneve, engl. United Nations Archives at Geneva) verwahrt die vollständige Provenienzüberlieferung des Völkerbundes (The League of Nations Archives): Secretariat of the League (correspondence and documents); the Refugees Mixed Archives Group (Nansen Fonds); Commission files (records of external League offices and entities); eine Druckschriftensammlung (The League of Nations documents collection): Official publications (printed or mimeographed), minutes, working papers and documents of the various League organs sowie weiteres Sammlungsgut (Private Papers).
Die Unterlagen sind über verschiedene Findmittel zugänglich und im Lesesaal in Genf benutzbar. Seit 2018 läuft ein umfängliches Digitalisierungsvorhaben.
Sorabistische Relevanz
Das sorbische Volk war während der Zwischenkriegszeit (d.h. während der Existenz des Völkerbundes) kein Völkerrechtssubjekt. Weder gab es in dieser Zeit einen sorbischen Staat noch eine national oder völkerrechtlich anerkannte Vertretung der sorbischen Minderheit. Für den Völkerbund war anfangs noch nicht einmal bestimmt, ob die Sorben eine Minderheit im Sinne ähnlicher Bestimmungen des Versailler Vertrages waren (die Völkerbundsatzung enthielt diesen Begriff gleich gar nicht). Trotzdem hat die sogenannte sorbische Frage den Völkerbund in der ersten Hälfte der 1920er Jahre intensiv beschäftigt und ihren Niederschlag in den Akten der Organisation gefunden. Die Besonderheit ist dabei, dass der Völkerbund, anders als beispielsweise deutsche Regierungs- oder Verwaltungsstellen sorbischen Persönlichkeiten Gehör geschenkt und von ihnen Schreiben entgegengenommen, sorgfältig bearbeitet und offiziell beantwortet hat. Somit enthalten die Akten des Völkerbundes nicht nur Dokumente mit Aussagen über die Sorben, sondern – und das ist in dieser Dichte bemerkenswert – Dokumente von Sorben. Dies sind beispielsweise Briefe sorbischer Persönlichkeiten (sogenannte ego papers) oder Druckschriften sorbischer Organisationen. Und auch die Perspektive der Gegenseite, also der Alliierten oder jeweiligen Bearbeiter beim Völkerbund, ist aussagekräftig überliefert und unterscheidet sich insbesondere dadurch, dass sie nicht von einer grundsätzlich antisorbischen, chauvinistischen oder nationalistischen Haltung bestimmt ist, sondern sich wahrhaftig um eine Sachverhaltsklärung bemüht.
Auch für das Deutsche Reich war der Völkerbund ein eminent wichtiger Akteur, denn die Organisation vollstreckte den Versailler Vertrag. So ernannte der Völkerbund von 1920 bis 1935 die Regierungskommission des vom Deutschen Reich abgetrennten Saargebietes und bis 1939 den Hohen Kommissar für die Freie Stadt Danzig. Außerdem übertrug Art. 22 der Völkerbundsatzung die Verwaltung für die ehemaligen deutschen Kolonien einzelnen Staaten als Mandat. Allerdings unterstanden nicht alle vom Deutschen Reich abgetrennten Gebiete der Aufsicht des Völkerbundes; die durch den Versailler Vertrag verfügte Volksabstimmung in Oberschlesien überwachte von Februar 1920 bis Juli 1922 eine interalliierte Regierungs- und Plebiszitskommission für Oberschlesien, das Memelland wurde gemäß Artikel 99 des Versailler Vertrages an die alliierten Mächte übertragen und dann von 1920 bis 1923 von Frankreich verwaltet. Und bei genau diesen Fällen von Gebiets- und Autonomieverlusten lagen die politischen Interessen des Deutschen Reiches, denn im Ergebnis der Bestimmungen des Versailler Vertrages lebten nun über sechs Millionen Deutsche außerhalb der Reichsgrenzen. Die Sorge um diese deutschen Minderheiten in den neu entstandenen Nationalstaaten in Ostmitteleuropa war eine der zentralen politischen Aufgaben aller Regierungen der Weimarer Republik. Dafür nutzte die deutsche Außenpolitik unter Reichsaußenminister Gustav Stresemann den Völkerbund als Mittel und setzte sich – aus Sorge um die deutschen Minderheiten im Ausland – regierungsintern für eine vergleichsweise liberale Minderheitenregelung im Reich ein. Diese Strategie sollte wohlgemerkt ausschließlich dem Ziel dienen, die Situation der deutschen Minderheiten im Ausland positiv beeinflussen zu können. Die Verbesserung des interkulturellen Zusammenlebens oder der Lage der nationalen Minderheiten im Reich waren ansonsten für das Reichsaußenamt völlig ohne Belang. Die Entwicklung dieser deutschen Sorben- und Minderheitenpolitik, die Haltung des Regierungs- und Verwaltungsapparates des Deutschen Reiches sowie einzelner Protagonisten spiegelt sich sehr klar in der Überlieferung des Völkerbundes wider.